Ich habe beschlossen, neben meinen wöchentlichen Updates eine neue Serie kleinerer Blogbeiträge zu starten. Sie sollen sich jeweils um ein bestimmtes Themengebiet drehen und allen, die näher an der kanadischen Kultur, dem Gesellschaftssystem, Naturphänomenen und spannenden sowie lustigen Fakten interessiert sind, einen besseren und tiefergehenden Eindruck des Erdteils geben, den ich ganz allmählich immer besser kennenlerne :)
Zum Auftakt dreht sich alles um das Wetter. Das hat hier nämlich über all die Wochen, die ich nun hier bin, eine zentrale und die Tätigkeiten bestimmende Rolle gespielt. Zudem war es Gesprächsthema Nummer eins unter den Einheimischen.
Meine Beobachtungen beziehen sich vordergründig auf Alberta, insbesondere die nördlichere Gegend – denn Kanada ist schließlich ein riesiges Land und das Wetter ortabhängig.
Eins der ersten Dinge, die ich hier gelernt habe, ist folgender Satz:
„If you don’t like the weather – wait 15 minutes, it’ll change.“
(Wenn dir das Wetter nicht gefällt – warte 15 Minuten, es wird sich ändern).
Der hat sich als sehr richtig erwiesen, denn die Witterung verändert sich hier oft wirklich innerhalb von Minuten: Von strahlend blauem Himmel zu Wolken und Regen, Gewittern und Sturm. Dafür ziehen die Unwetter wie alles am Himmel in der Regel schnell vorüber – es ist so flach in der Prärie, dass das Wetter von nichts aufgehalten wird. Alberta ist bekannt für seine Weite und die „never ending skies“. Weil sich die Verhältnisse hier so schnell verändern ist es nicht verwunderlich, dass gerade die Farmer nicht allzu großes Vertrauen in den Wetterbericht setzen, sondern ihre Tätigkeiten lieber nach einem Blick in den Himmel richten. Es gibt auch jede Menge alte Weisheiten, die oftmals tatsächlich etwas Wahres haben. So alarmiert etwa ein roter Himmel beim Sonnenaufgang, dass sich im Laufe des Tages eventuell ein Unwetter ankündigt.
Die Menschen hier sind das ständig wechselnde Wetter also eigentlich gewohnt. Dennoch hat es in letzter Zeit für Aufregung gesorgt: Obwohl Juli und August normalerweise die regenreichsten Monate sind, war es dieses Jahr wohl extrem. Die viele Nässe über Wochen hat Folgen nach sich gezogen, die ihre ganze Tragweite teils erst nach Wochen entblößt haben: Als ich auf der Ranch angekommen bin, stand der Großteil an Wegen, Wiesen und Paddocks sozusagen unter Wasser und ich bin bis zum Schaft meiner Gummistiefel im Schlamm versunken. Das hat mich ahnen lassen, was meiner Ankunft vorangegangen war – auch wenn ich scheinbar die Sonne mitgebracht habe. Denn abgesehen von dem nächtlichen Begrüßungsgewitter, als wir vom Bahnhof über den Highway zur Ranch gefahren sind (mit den krassesten Blitzen, die ich je gesehen habe!), hat es danach kaum noch geregnet. Trotzdem hat es mindestens die ersten beiden Wochen gedauert, bis der Boden halbwegs getrocknet war. Weil all die Nässe Gartenarbeit, Rasenmähen und Co. nahezu unmöglich gemacht hat, sind Gras und Unkraut stellenweise auf Hüfthöhe herangewachsen. Da ist es kein Wunder, dass der Rancher beim Unkraut mähen im Garten versehentlich die Möhren mit plattgemacht hat (und wir sie dann über Stunden wieder mühevoll freilegen durften) :D
So viel Gras hatten sie wohl noch nie, die Pferde mussten nicht einmal die Weiden wechseln, um genug zu fressen zu haben. Eine ungenutzte Wiese soll dieses Jahr vielleicht sogar zu Heu verarbeitet werden.
Gras und Unkraut sind allerdings so ziemlich die einzigen, die sich über derart viel Regen freuen… Etliche Blumen und Gemüse sind im Garten und in ihren Beeten und Töpfen förmlich ertrunken. Dazu ist vielen die Nasskälte, Frühfrost und vor allem der Mangel an Sonnenlicht gar nicht gut bekommen. So sind zum Beispiel die Tomatenpflanzen zwar wie verrückt gewachsen – nur ihre Früchte nicht. Manche sind winzig und letztendlich mussten wir sie grün ernten und nun im Haus reifen lassen, um sie wenigstens vor nahendem Frost zu retten. Auch die Gurken sind eingegangen, womit die Ranch allerdings nicht die einzige mit Verlusten diesbezüglich ist: Fast überall sind Gurken überteuert und werden teilweise wirklich zu horrenden Preisen gehandelt. Selbst in den Gartencentern und Greenhouses – manche sind sogar jetzt schon ausverkauft! Und alle, die man dort trifft, beschweren sich ausnahmslos über die diesjährigen Bedingungen und die schlechte Ernte.
Genaugenommen können wir uns auf der Ranch noch glücklich schätzen, viele andere haben quasi ihren ganzen Garten an die wetterbedingte Nässe verloren. Wir sollten uns deshalb eigentlich nicht beschweren, dass uns das völlig durcheinandergebrachte Obst und Gemüse einige sehr lange Tage beschert hat. Wie die Äpfel, die wiederum frühreif waren, allerdings ungewöhnlich klein ausgefallen sind.
Generell gilt, dass die Gewächse über der Erde eher betroffen sind. Diejenigen unter der Erde gedeihen deutlich besser. So findet man hier im Garten etwa Riesenzwiebeln, Rote Beete in allen Größen, Kartoffeln und lustig geformte Möhren. Eine einzelne Monsterzucchini hat dem Wetter auch getrotzt.
Alles, was den Launen der Natur die Wochen über tapfer standgehalten hat, haben die Haflinger allerdings kürzlich unter ihre Obhut genommen: Eines Abends haben sie beschlossen, den Zaun abzubauen und ihre Weidegründe um den großen Garten zu erweitern. Das arme Gemüse sah sich damit auch noch mit Hufen, die munter auf ihnen herumtrampelten und hungrigen Pferdemäulern konfrontiert. Am schlimmsten hat es die Erbsen getroffen, die wir jedoch glücklicherweise zum größten Teil bereits am Vorabend geerntet hatten. Und wirklich böse kann man den Pferden ohnehin nicht sein :p
Ein großes Problem haben auch viele Bauern, die primär auf die Heuernte setzen. Teilweise wurden sie vom anhaltenden Regen überrascht und das Heu auf den Feldern verwest. Die unglücklichen unter ihnen, die fast alle ihre Felder auf einmal gemäht haben, haben ganze Flächen und einen Großteil ihres Einkommens verloren. Viehbesitzer fragen überall herum, ob jemand (günstig) Heu verkauft – die Heuernte fällt dieses Jahr eher kläglich aus.
Auch auffällig ist, dass sich Ende August bereits erste Blätter an den Bäumen verfärbt haben. Das ist wohl auch der Nässe zuzuschreiben. Die meisten, mit denen ich gesprochen habe, beschweren sich, dass der diesjährige Sommer (bis auf wenige sonnige und „warme“ Tage) mehr oder weniger ins Wasser gefallen ist. Ich bin wahrscheinlich die Einzige hier, die sich nicht daran stört, haha :p
Ich habe mich richtiggehend gefreut und hatte geradezu unverschämt gute Laune, wenn die Höchsttemperatur Mitte August tageweise kaum die 10-Grad-Marke erreicht hat.
Das wiederrum ist hier allerdings nicht ungewöhnlich, gerade gegen Ende des Monats rechnen die meisten mit dem ersten Frost. Andersherum gibt es in den kalten Monaten sogenannte Chinooks (föhnähnliche Winde östlich der Rockies), die der Gegend nicht selten noch einmal für eine kurze Zeit 25 Grad Celsius bescheren – nicht selten Temperaturanstiege und anschließend wieder -abstürze um mehr als 30 Grad.
Genau solche Wetterphänomene scheinen den Klimawandel für viele zu einem schwierigen Thema zu machen – so zumindest meine bisherigen Beobachtungen hier auf dem Land. Einige vertreten hartnäckig die Ansicht, dass alles, was Meteorologen und Forscher mit Besorgnis beobachten, nichts weiter als natürliche Wetterzyklen seien, die schon seit Anbeginn der Zeit existierten. Der Klimawandel habe vor allem kommerzielle Hintergründe. Zwar gehen die meisten, mit denen ich längere Austausche und Diskussionen hatte, dann doch nicht so weit, ihn gänzlich als Hirngespinst abzutun – trotzdem halten viele es in erster Linie für ein europäisches Problem. Neben dem „Solche-Wetterveränderungen-hat-es-schon-immer-gegeben“-Argument, beriefen sich meine Gesprächspartner stets gerne darauf, dass Kanadas CO2-Bilanz positiv sei. Die riesigen Waldflächen kompensierten die Emissionen z.B. all der großen Autos (vornehmlich dieselbetrieben), Maschinen und der Ölindustrie um Edmonton. Generell scheinen sich viele als Vorbild in Sachen Klimaschutz zu sehen. Dennoch gibt es in der letzten Zeit Kritik, die die Richtigkeit dieses Arguments unter anderem angesichts massiver Waldbrände infrage stellt. Fakt ist, dass ich in meinem Umfeld teils sehr widersprüchliche Aussagen und Handlungen beobachte. Die einen verkünden stolz, dass sie keine Spülmaschine haben und sich neben dem Truck ein kleines Auto für Stadtfahrten angeschafft haben. Dafür haben sie dann einen Trockner, der fortwährend in Betrieb ist und lassen den Motor warmlaufen oder stellen ihn zwischendurch nicht ab…
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass man sich gerne auf das nahe Umfeld konzentriert. Das finde ich im Grunde super, denn wahrscheinlich sollten wir alle bei uns selbst anfangen, wenn es darum geht, etwas zu verändern. Ich frage mich bloß manchmal, ob dabei der Blick für das große Ganze (bewusst oder unbewusst) verloren geht. Jedenfalls habe ich sämtliche Gespräche zu diesem Thema bisher als recht anstrengend erlebt. Manche Argumente scheinen sich derart in den Köpfen festgesetzt zu haben, dass es schwer ist, sie für andere Sichtweisen empfänglich zu machen. Das ist schade, ich merke auch immer wieder, wie schnell meine Gegenüber sich emotional in dieses Thema hineinsteigern.
Ich möchte an dieser Stelle trotzdem noch einmal betonen, dass sich meine Ausführungen natürlich momentan noch sehr auf eine – dazu noch ländliche – Region beziehen. Ich möchte diese Beobachtungen deshalb auf keinen Fall auf das ganze Land pauschalisieren (was abgesehen davon immer eine schlechte Idee ist, da schließlich überall pluralistische Ansichten existieren). Ich bin deshalb schon sehr gespannt, welche Menschen, Meinungen und Argumente mir auf meiner Weiterreise noch begegnen werden. Und auch, inwiefern sich das Land von den Städten unterscheidet. Denn es stehen zudem selbstverständlich Interessen dahinter. Was sich beispielsweise mit Blick auf die Debatte um den CO2-Ausstoß von Rinderherden bemerkbar macht ;)
So anstrengend die Unterhaltungen zu diesem Thema oftmals auch sein mögen, interessant sind sie allemal! Ich versuche alles hier als Erfahrung mitzunehmen und meine Schlüsse daraus zu ziehen, in dem Versuch, die vorherrschenden Denkweisen und daraus resultierenden Handlungen und Gewohnheiten besser zu verstehen. Manchmal fühle ich mich wie ein Forscher. Beobachten, vergleichen, deuten. Lernen. Es hilft auf jeden Fall, mir meinen eigenen Ansichten bewusst zu werden – und sie fortwährend zu überdenken. Dadurch werden sie ergänzt oder auch gefestigt und ich kann meine Grenzen teils deutlicher erkennen. Allein dafür hat sich der Aufenthalt hier schon gelohnt!
Ich hoffe sehr, dass es mir mit diesem kleinen Report gelungen ist, euch einen tieferen Einblick in Wetter und Klima zu geben, mit dem ich mich hier konfrontiert sehe. Ich bin vor allem fasziniert von der Vielfalt: Sonne, Regen, Sturm, Frost, spektakuläre Sonnenuntergänge, Albertas Pink-Blue-Skies, nachts ein atemberaubender Sternenhimmel und mit etwas Glück sogar Northern Lights...
Im Landesinneren ist das Klima auch definitiv anders als zuvor in Vancouver. Und in den Nachrichten hat kürzlich Hurricane „Dorian“ für Furore gesorgt, der die kanadische Ostküste auf den Kopf gestellt hat.
Ich könnte problemlos noch zehn Seiten informativen Text anhängen, aber ich will die Regenproblematik schließlich nicht noch um eine Textflut ergänzen ;D
Für den Fall, dass euer Interesse dennoch darüber hinaus geweckt worden ist (eventuell sogar, um auf eigene Faust noch ein bisschen weiter zu recherchieren?) und sich Fragen während des Lesens oder auch einfach so auftun sollten – stellt sie gerne, ich werde versuchen, sie so gut ich kann zu beantworten. Ansonsten dürft ihr gespannt auf das nächste Themengebiet sein, ich hoffe, dass ich bald wieder zum Schreiben komme :)
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