Eine Zugfahrt, die ist lustig – eine Zugfahrt, die ist schön.
Ganz besonders mit einer solch atemberaubenden Kulisse wie sie mir geboten wurde, als ich Vancouver den Rücken gekehrt und mich auf den Weg in den Nachbarbundesstaat Alberta gemacht habe.
Zweimal in der Woche verkehrt ein Personenzug des kanadischen Bahnunternehmens ViaRail auf der Strecke zwischen Vancouver und Edmonton.
Und was soll ich sagen? Ich bereue definitiv nicht, mich für diese Art Transportmittel entschieden zu haben.
Nach der Gepäckaufgabe und einer kurzen Wartezeit war alles ziemlich unkompliziert und von vornherein entspannt. Einzig die vielen verschiedenen Comfortklassen, zwischen denen man sich bei de Buchung entscheiden musste und die auf die verschiedenen Wagons verteilt sind, waren vielleicht minimal verwirrend. Ich habe mich einfach kurzerhand der größten Gruppe Passagiere angeschlossen. Das hat sich als gut erwiesen. Alle mit ganz „normalen“ Tickets.
An den Türen hat jeweils ein gut gelaunter uniformierter Zugbegleiter einen kleinen Tritt bereitgehalten, so ziemlich jeden Passagier einzeln begrüßt und sich hier und dort einen kleinen Spaß erlaubt. Feste Sitzplätze? Fehlanzeige. Man hat sich einfach dorthin gesetzt, wo eben noch etwas frei war. Sehr sympathisch :D
Letztendlich habe ich mich an einem Fensterplatz mit jeder Menge Beinfreiheit und einem jungen Lehrer neben mir wiedergefunden, der gebürtig aus Toronto stammt und für den die Stadt trotz aller Reisen immer noch der schönste Ort der Welt ist. Kein Wunder also, dass er mir schon bald darauf begeistert von seinen Lieblingsorten erzählt und sie sogar extra für mich notiert hat, während draußen zunächst gemächlich die Außenbezirke Vancouvers, einige kleinere Ortschaften und später das Küstengebirge vorbeigezogen sind.
Jeder Platz hatte eine Steckdose, gefiltertes Wasser konnte man die ganze Zeit über kostenlos auffüllen und auch das Essen war richtig gut. Dreimal am Tag gab es verschiedene warme Mahlzeiten im Angebot, die fast allesamt frisch in der kleinen Bordküche zubereitet wurden. Daneben gab es jede Menge Snacks zu kaufen.
Keine Hektik, keine Ungeduld – selbst nach nur vier Stunden Schlaf waren aller Mitarbeiter ausnahmslos fröhlich. Und während man auf sein Sandwich, Kaffee oder Kuchen gewartet hat, sind einige interessante Unterhaltungen entstanden. Auch mit den anderen Passagieren. Beispielsweise ein frisch verheiratetes Paar aus Texas mit ähnlich langer Bucketlist wie meiner und einigen spannenden Geschichten und Erfahrungen im Gepäck.
Die meiste Zeit habe ich jedoch völlig gebannt aus dem Fenster geschaut und beobachtet wie die Häuser immer weniger und die Berge immer höher wurden. Dazu haben sich Laub- und Nadelwälder abgewechselt und dazwischen immer wieder Wasser. Je näher wir den Rockies kamen, desto größer schienen die Seen zu werden – noch dazu in den unglaublichsten Farben. Und alle unterschieden sich in ihren Nuancen aus Blau- und Grüntönen im Wasser. Darin haben sich die Wolken und Berge gespiegelt und das kitschige Bild eines unberührten kanadischen Bergsees perfekt gemacht, das sicher viele (insbesondere im Zusammenhang mit British Columbia) vor Augen haben.
Zwischendurch gab es sogar ein bisschen Regen, der einen feinen Schleier über die dichten Wälder vor dem Fenster gelegt und sie gemeinsam mit der warmen Innenbeleuchtung in der Dämmerung in mystische Formen und Schatten verwandelt hat. Das war wohl Albertas Begrüßung, denn zu der Zeit müssen wir in etwa die Grenze überquert haben…
Einzig der Schlaf ist vielleicht etwas zu kurz gekommen. Genau genommen habe ich von vornherein damit gerechnet, auf diesem Trip nicht allzu viel zu schlafen. Man konnte die Sitze zwar etwas nach hinten kippen, aber ich wollte einerseits die Passagierin hinter mir nicht einquetschen und andererseits wurde es auch dadurch nicht wirklich bequem. Immerhin hatte ich einen Fensterplatz, trotzdem bin ich schätzungsweise im halbstündigen Takt aufgewacht. Zuvor habe ich noch mit der Dame hinter mir um das Rollo gerungen. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wieso man das bei diesem Ausblick überhaupt anrühren möchte xp
Irgendwann um kurz nach vier Uhr morgens habe ich meine Schlafversuche aufgegeben und mich auf den Weg zum Panoramawagen gemacht, der sich direkt über dem Bistro befindet. Er zeichnet sich durch die vielen Fenster aus und ragt als Aufbau über die anderen Wagons hinaus. Man fühlt sich quasi als würde man auf dem Zugdach sitzen. Tagsüber ist der Wagen in der Regel immer komplett voll – auch wenn der Fairness halber immer gewechselt wird. So früh war er allerdings nahezu verlassen. Ich habe es mir mit einem Kissen und bis zum Hals in einen überdimensionalen Schal gehüllt bequem gemacht. Denn das war wirklich das einzig Störende: Es war kalt. Generell im Zug wegen der Klimaanlage, aber dort oben ganz besonders.
Ich habe bestimmt zwei Stunden so verbracht, in denen ich einfach hinausgesehen und die Morgendämmerung miterlebt habe.
Das war eindeutig mein Highlight dieser Zugfahrt: Zu beobachten wie das undurchdringliche Nachtschwarz ganz allmählich verschiedenen Grauabstufungen und schließlich einem immer heller werdenden Blau gewichen ist. Über den Bäumen, Bergen und Seen hing ein sanfter Nebel und die ganze Landschaft draußen wirkte so unberührt und friedlich, dass sie mich für diese Zeit vollkommen in ihren Bann gezogen hat.
Am nächsten Nachmittag gab es einen kurzen Aufenthalt in Jasper, einem kleinen Ort in den Rockies, der insbesondere für seinen Nationalpark bekannt ist.
Während der Zug mit einem lustigen orangefarbenen Minikran gesäubert wurde, ging es für die Passagiere zum Kaffeetrinken und Souvenir-Shoppen. Oder auf WiFi-Suche. Das gab es nämlich nicht an Bord. Eigentlich zurecht, denn meiner Meinung nach sollte man diese einmalige Strecke nicht damit verbringen, pausenlos auf Handy oder Laptop zu starren, während man vom eigentlichen Kino draußen nichts mitbekommt. Ich war leider darauf angewiesen, um die Ranchbesitzerin zu informieren. Die wollte mich nämlich abholen und eine Verspätung kündigte sich bereits an. Das ist tatsächlich so eine Sache: Der Personenzug ist nur zweimal pro Woche unterwegs, normalerweise wird die Strecke vor allem von Güterzügen genutzt. Die haben allerdings nach wie vor Vorrang. Und das bedeutet, dass die Bahn immer warten muss, um die anderen Züge vorbeifahren zu lassen. Da steht man dann schnell mal eine halbe Stunde oder muss gar einen Umweg fahren und anschließend erst wieder zurück, bevor die Fahrt fortgesetzt werden kann. Das kann aber nun einmal niemand im Vorhinein kalkulieren, weshalb man am besten mit Verzögerungen und Verspätung rechnen sollte.
Glücklicherweise blieb mir trotzdem noch ein bisschen Zeit, um durch ein paar kleine Geschäfte zu bummeln und den unwirklichen Blick auf die Rocky Mountains zu genießen. Das sind mal richtige Bergspitzen!
Als wir schließlich in Edmonton angekommen sind, war ich anstatt der eigentlichen Fahrzeit von etwa 27 Stunden (plus eine Stunde Zeitverschiebung) letztendlich rund 30 Stunden unterwegs. Für die Abholenden eventuell blöd, für mich jedoch nicht weiter tragisch, da ich es wirklich als entspannte Art zu reisen empfunden habe.
Ich würde diese Zugfahrt absolut jedem empfehlen, denn was man währenddessen landschaftlich geboten bekommt, ist wirklich einmalig.
Ich wage jetzt mal zu behaupten, dass wir solche Landschaften aus Deutschland einfach nicht kennen. So unberührt, so abwechslungsreich, so weit… Hier zeigt sich, wie gering Kanadas Bevölkerungsdichte in vielen Landesteilen ist, sobald man sich etwas von den größeren Städten entfernt. Allein der Vergleich der Einwohnerzahlen spricht für sich. Den fast 83 Millionen Menschen in Deutschland stehen nur etwa 36 Millionen im so viel größeren Kanada gegenüber!
Für wen das Schlafen ein Problem darstellt und wer bereit ist, etwas mehr zu zahlen, für den gibt es auch noch andere Ticketoptionen, mit Schlafwagen oder weiterem Comfort.
Für mich waren der Ausblick und die Menschen auf der Fahrt Entschädigung genug.
Ich bin auf jeden Fall froh über all die Eindrücke und Landschaftsbilder, die ich erhalten habe. Mir fällt es nicht leicht, das Gesehene überhaupt in Worte zu fassen. Vielleicht kann der kleine Film im Anhang ja helfen, den schriftlichen Teil des Beitrags um Bilder und Atmosphäre zu bereichern. Ich hoffe es sehr!
Jetzt habe ich schon wieder die nächste Etappe auf meiner Reise erreicht…
Lots of love and to be continued :)
Music: Riverside by Agnes Obel
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